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Mar
2019
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- Veröffentlicht: 24. März 2019

Winter-Wonderland für Reiche, St. Moriitz / © Lois Hechenblaikner

Winter-Wonderland für Reiche, St. Moriitz / © Lois Hechenblaikner
Lois hält diese künstlichen Welten fotografisch fest, stellt sie alten Fotografien aus einer noch - zumindest für die Natur - intakten Welt gegenüber, um die Absurdität unseres heutigen Tuns noch deutlicher zu machen. Er ist ein Kind des Tourismus und weiß deshalb sehr genau um die Zwänge, Zusammenhänge und schleichenden Prozesse, die diese Art von Tourismus geschaffen haben. Es ist vielleicht genau dieser "Stallgeruch" der Branche, der ihm bei seiner Arbeit viele Türen öffnet, mit dem er bei Hoteliers und Gastgebern Vertrauen gewinnt, um letztlich seine - oft jahrelang recherchierten - Projekte zu realisieren. 16 Jahre lang sammelte er Fragmente geschredderter Ski, die auf Pisten und vor Apre-Ski-Hütten übrig geblieben sind oder im schnellen Saisonsgeschäft der Sportfachhandels keine Käufer fanden. Er ist ein Archäologe des Homo consumis - spezialisiert auf die Relikte einer Wintersportkultur, die weder mit Sport noch mit Kultur etwas zu tun hat. Die auf den Ski-Fragmenten aufgedruckten Marken- und Typenbezeichnungen spiegeln für ihn die Hilflosigkeit wieder, mit der wir den Dingen mehr Wert und Mythos geben wollen, wohlwissend, dass diese Worte - sobald sie ein banales Konsumprodukt schmücken, der inflationären Lächerlichkeit preisgegeben sind - zumindest sobald sie ihr Ablaufdatum erreicht haben. Und dieser Sensenmann des Produktlebenszykluses taucht immer schneller auf. Lois macht aus seinen absurden Funden Kunst und erhebt sie dadurch praktisch posthum in den Status von Kultur. Er gibt ihnen wieder Wichtigkeit - obwohl Begriffe wie "Turbo" und "Super" auf zerbrochenen Ski wie das Eingeständnis dieser Absurdität wirken. Sie werden zu stummen Zeugen einer traurig banalen Konsumwelt auf zwei Bretteln.

"Intensivstation für den exzessiven Alkoholkonsum in den Bergen" / © Lois Hechenblaikner
Das Lebensthema des Fotokünstlers Lois Hechenblaikner speist sich natürlich aus der Erfahrung seines eigenen Lebens inmitten einer vom Tourismus geprägten Gesellschaft. Auch in seiner Familie wurde und wird an "Fremde" - heute "Gäste" vermietet. Die Vereinnahmung des Gastgebers durch den Gast ist ihm dabei ein Indiz für die sehr komplexe Problematik in diesem Wirtschaftsbereich. Wo fängt das touristische Produkt an, wo hört es auf? Ist der Mensch hinter dem Produkt Teil der Leistung und hat somit - zumindest auf Zeit - dem zahlenden Kunden die Show des "österreichischen Freundes" vorzugaukeln? Und überhaupt - so stellt er sich bei unserem Gespräch die Frage: "Was macht dieses Posen nach außen mit dir als Person im Inneren?" Kann man im Tourismus überhaupt echt sein? Verlangt dieser Job nicht geradezu das Erkennen und Erfüllen von Erwartungen des Gastes und nicht die Selbstverwirklichung der eigenen Persönlichkeit? Ist nicht derjenige erfolgreich, der dies möglichst perfekt macht - auch wenn er sich selbst dabei verliert? Lois berichtet von Hoteliers, die nach der Saison regelmäßig medizinische Hilfe in Anspruch nehmen, um dieses Rollenspiel, die Widersprüche zwischen Außen- und Innenwelt, die Diskrepanz zwischen "vor dem Tresen" und "hinter dem Tresen" psychisch zu verarbeiten. Auch Drogen erscheinen in dieser großen Show oft ein probates Mittel zu sein, um durchzuhalten. Wenn die gelernte Pose dann auch noch wirtschaftlich funktioniert - so Lois - wird es umso schwieriger, überhaupt zu erkennen, dass man nicht mehr echt und authentisch ist. Die Pose kapert die eigene Persönlichkeit. Leidtragende sind oft die Kinder der Gastgeber, die mit dieser Schizophrenie aufwachsen. "Was macht diese Art von Tourismus mit den Kindern, wenn sie tagtäglich erleben, dass ihre Eltern nicht leben sondern gelebt werden - sich inszenieren?" spricht Lois ein heikles Thema dieser Branche an. Ich kann ihm dazu von einem Urlaubserlebnis in Bad Ischl berichten. Die beiden fast erwachsenen Söhne des Hoteliers-Ehepaares mussten am Heiligabend vor der versammelten Gästeschaar (Durchschnittsalter: 80) Weihnachtslieder singen. Und sie mussten es tatsächlich. Das sahen wir ihnen an. Eines der intimsten Familienfeste wurde zum Event für die zahlenden Gäste degradiert und die Kinder mutierten zu Krippenfiguren einer touristischen Inszenierung, die an Peinlichkeit kaum mehr zu überbieten war - zumindest für meine Frau und ich. Die anderen Gäste werden wohl noch heute von diesem schönen Abend schwärmen.

Katerstimmung am Berg. Respektlose Massenevents in den Skigebieten. / © Lois Hechenblaikner
Doch wie kann ein Weg aus diesem Dilemma aussehen? Lois hat darauf eine einfache Antwort: Zuerst muss Klarheit her. Der Mensch muss sich über sich und seine Art zu leben und zu wirtschaften klar werden, er muss sich selbst reflektieren. Wer ständig nach außen eine Pose spielt, ist mit sich selbst nicht im Reinen. Nur wer mit sich selbst im Reinen ist, braucht keine Rolle, keinen Schmäh sondern ist einfach nur echt. Trotzdem ist das ein langer, anstrengender Prozess."
Lois trägt seinen Teil zu diesem "Erwachen" bei - als Chronist des Ist-Zustands. Und den will er so lange demaskieren, bis nicht mehr er als Nestbeschmutzer angefeindet wird sondern jene, die die Alpen tatsächlich beschmutzen und zerstöre. "Lass nicht locker, Lois", sage ich ihm zum Abschluss.
Und hier geht's zur Website von Lois: Hechenblaikner.at
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